Kybernetik - was ist das?Kybernetik

Eine verständliche Einführung

Von der Kybernetik und ihrer Geschichte

Es ist schön, wenn die Menschen sich verstehen. Wenn, beispielsweise, der eine das Wort "Chemie" oder auch "Physik" benutzt und der andere gleich weiß, was gemeint ist. Weiß er's nicht, so schlägt er sein Konversationslexikon auf und sieht nach.
"Physik", so liest er da, "ist die Wissenschaft vom Verhalten der unbelebten Materie". Im Gegensatz dazu definiert das kluge Lexikon die Biologie als "die Lehre vom Leben" und die Chemie als "die Wissenschaft von den chemischen Grundstoffen, den chemischen Verbindungen und deren Veränderungen".
Was chemische Verbindungen sind - so denkt der als Menschenkenner bewährte Verfasser des Lexikonbandes "Gas" bis "Gz" - das werden die Leute schon wissen! Recht hat er.
Jammerschade, dass es bei der Kybernetik nicht auch so einfach ist! Aber es weiß halt immer noch keiner so recht, was Kybernetik eigentlich ist. Selbst die allwissenden Lexiken sind sich da noch nicht einig. Die einen murmeln etwas von einem "Zweig der Ingenieurwissenschaften, der sich mit Kontroll-, Regel- und Steuergeräten beschäftigt", die anderen behaupten vage, dass hier "die gemeinsamen Grundprinzipien physikalischer Mechanismen und biologischer Organismen" erforscht und beschrieben werden. Und dann wenden sie sich schleunigst je nach den Neigungen ihrer Herausgeber dem Schweizer Dorf Kyburg, dem englischen Dramatiker Kyd oder auch dem Kyffhäuser zu; das sind drei Begriffe, über die sich mehr und Sichereres sagen läßt.
Den Neugierigen aber plagt das unangenehme Gefühl, dass derlei Definitionen der Kybernetik wohl kaum der Weisheit letzter Schluß sein können. Denn wäre Kybernetik - nur zum Beispiel - "der Zweig der Ingenieurwissenschaften, der sich mit Kontroll-, Regel- und Steuergeräten beschäftigt", so wäre die Fernlichtanzeige im Auto ein kybernetischer Leckerbissen und ein Wasserhahn Mr. Kybernos schlechthin.
Das aber kann kaum sein; so viel wissen wir inzwischen. Wie steht es mit den "gemeinsamen Grundprinzipien physikalischer Mechanismen und biologischer Organismen"?
Das kommt der Sache schon näher, macht uns aber auch noch keinen so rechten Spaß. Denn solche gemeinsamen Grundprinzipien sind zunächst einmal, dass sowohl Mechanismen wie Organismen aus Materie bestehen, dass sie Bewegung zeigen, dass sie dazu Energie verbrauchen...
Und mit solchen Trivialitäten gibt die Kybernetik sich nicht ab. Lassen wir die allgemeinbildenden Lexika; wenden wir uns den speziellen Nachschlagewerken zu! Zum Beispiel dem höchst verdienstvollen, hochwissenschaftlichen, vierzigbändigen Fischer-Lexikon. Was lehrt uns dieses Kompendium?
Es lehrt uns, wie man sich elegant aus der Affäre zieht.
In einer zwanzig Seiten langen, sehr lesenswerten Abhandlung über die mathematische Kybernetik umschifft es die Klippe der Definition kühn durch eine einzige Bemerkung, wonach die Kybernetik eine neue wissenschaftliche Disziplin sei, "die in eigenartiger Weise auf der Grenze zwischen verschiedenen Naturwissenschaften steht".
Schöner kann man eine nichtssagende Wahrheit nicht ausdrücken.
Wie aber ist es mit den Wissenschaftlern? Die müssen es doch wissen! Sagen die nichts? Doch. Sie sagen viel zuviel. Es gibt, grob gerechnet, so viele Definitionen der Kybernetik, wie es Kybernetiker gibt. Wahrscheinlich sogar noch ein paar mehr, weil der eine oder andere seine Meinung unterwegs geändert hat.
Am einfachsten haben es noch jene Wissenschaftler, die sich streng mit einem bestimmten Wissenschaftsgebiet beschäftigen, auf das sich die Kybernetik mit etwas gutem Willen auch anwenden läßt. Es ist dann sehr praktisch, die Kybernetik einfach zu einer Unterabteilung jenes Fachgebiets zu erklären. Dieser Methode entspringen sehr knappe Formulierungen, die sich gut anhören, die alle Welt leicht begreift und die man als geradezu ideal bezeichnen könnte, wenn sie einander nicht so bösartig widersprechen würden. Da sagt der eine, Kybernetik sei "die Theorie der Rückkopplung" (Colin Cherry), der andere nennt sie "die Wissenschaft vom Steuern" (L. B. Hassenstein), der dritte behauptet, sie befasse sich "mit den Problemen der Informationsübermittlung" (Egon Treppmann).
Der Amerikaner Norbert Wiener, der oft als der Erfinder der Kybernetik betrachtet wird (was er gewiß nicht ist), erklärte 1960 in Hannover: "Kybernetik ist die Wissenschaft von Kontrolle und Information, gleichgültig, ob es sich um lebende Wesen oder um Maschinen handelt".
Diese Formulierung war offensichtlich nicht so ganz durchdacht, denn 1960 war man sich schon weitgehend darüber einig, dass auch andere Systeme mit kybernetischen Modellen erfaßt werden können - Volkswirtschaften zum Beispiel, bei denen es sich vielleicht um Unwesen, sicher aber nicht um Lebewesen handelt. Eine einzelne Ameise könnte nach dieser Definition kybernetisch betrachtet werden, nicht aber Forscher Klawuttkes Ameisenhaufen.
Selbst Altmeister Wiener hilft uns also nicht viel weiter. Helmar Frank, Chefkybernetiker an der Berliner Universität, meinte 1962, Kybernetik sei "die Theorie der Aufnahme, Verarbeitung und raumzeitlichen Übertragung von Information".
Bis 1964 hatte er die Idee des "Systems" (wenn auch kein meisterliches Deutsch) hinzugewonnen: "Kybernetik ist die Theorie oder Technik der Nachrichten, des Nachrichtenumsatzes oder der diesen leitenden Systeme".

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