Kybernetik - was ist das?Kybernetik

Eine verständliche Einführung

Von Romantikern und der Verunstaltung der Wissenschaften

Erst im Jahr 1868 stellte der bedeutende englische Physiker Maxwell anhand des Wattschen Dampfmaschinenreglers eine vernünftige Theorie der Rückkopplung, des "Feed back" (wie er es nannte), auf. Der Wattsche Regler wurde damals "Governor" genannt - eine Bezeichnung, die sich eindeutig aus dem griechischen "Gubernetes" herleitet.
Inzwischen hatte auch der französische Physiker Ampère das Wort aufgegriffen. Im Jahre 1834 ließ er sich über eine Wissenschaft von den Verfahrensweisen der Regierungen aus. Er nannte sie, von der er voraussetzte, dass ihre Aufgabe das Ansteuern bestimmter politischer Ziele sei, "Cybernetique".
Ampère war noch einer jener Wissenschaftler, die umfassend gebildet waren und ihre Arbeiten in größerem Rahmen sahen; seine Vorstellungen über die "Cybernetique" hatte er in einem weitschauenden "Aufsatz über die Philosophie der Wissenschaften" veröffentlicht.
Die zunehmende Spezialisierung im 19. und auch im 20. Jahrhundert wollte mit Betrachtungen von solch hoher Warte aus nichts zu tun haben. Zwar nahm nun die Regelungstechnik an Bedeutung ständig zu, aber sie galt als eine reine Angelegenheit der Techniker, deren Aufgabe es war, wohlfunktionierende Maschinen zu entwerfen.
Der erste moderne Wissenschaftler, der in der Regelungstheorie mehr sah als eine Gebrauchsanleitung für Maschinenbauer, war selbst ein Techniker, ein Deutscher. Er hieß Hermann Schmidt und schrieb im Jahre 1941:
"Über technische Regelungsaufgaben hinaus finden wir die Regelung in der Pflanze, beim Tier und beim Menschen. Die wesentliche Unveränderlichkeit der Temperatur des menschlichen Körpers, des Blutdrucks, der Pulsfrequenz, das Aufrechtstehen und Gehen und viele andere Größen sind ein Ergebnis von Regelungsvorgängen. Auch der Staat kann hinsichtlich mancher seiner Äußerungen schematisch als Regler des freien Kräftespiels angesehen werden. Damit aber schicken wir uns an, den wichtigsten Beitrag zur Einheit unserer Wissenschaften im Ganzen unseres Kulturbewußtseins zu leisten..."
Diese Gemeinsamkeit zahlreichen Wissenschaften, dass dort überall Regelungsprobleme auftreten, führte schließlich dazu, die Kybernetik als neue Wissenschaft zu etablieren. Leider brachte sie auch etwas anderes mit sich, das der Kybernetik noch jahrelang im Wege stehen sollte: die Überbewertung eben dieses Regelungsbegriffes. Viel zu lange sah man in ihm das Kernproblem kybernetischer Forschung, während er - wie man heute erkannt hat - eine zwar wichtige, aber neben den Struktur-Untersuchungen doch nur zweitrangige Rolle spielt.
Über die Schwierigkeiten der Regelungstechnik fand auch Norbert Wiener, wohl der bekannteste Kybernetiker, zu dieser Wissenschaft.
In den vierziger Jahren wurde in den USA, dem klassischen Land der Teamarbeit, Entsetzliches bekannt. Bei Kongressen, die Angehörige verschiedener Wissenschaftszweige vereinen sollten, redete man aneinander vorbei! Der eine verstand die wissenschaftliche Sprache des anderen nicht mehr. Dieser verheerende Tatbestand, der in Europa längst zum guten Ton gehörte (hier findet man es eher verdächtig, wenn ein Wissenschaftler so spricht, dass der andere ihn versteht), stürzte die Amerikaner in Depressionen. Gruppen schreckerfüllter junger Wissenschaftler setzten sich zusammen, um Wege aus dem Dilemma zu finden. Unverbrauchte amerikanische Romantik entzündete in ihren Köpfen Traumvorstellungen einer allwissenschaftlichen "Akademie", die gemeinsamen Zielen nachstrebt und eine Sprache spricht.
Auch der Physiker Norbert Wiener gehörte zu einer dieser Gruppen. Er wies - wie Hermann Schmidt in Deutschland - nach, dass Regelungstechnik und Informationsübermittlung eine große Rolle in vielen Wissenschaften spielen und dass man hier den Hebel einer gemeinsamen Betrachtung ansetzen könne. Außerdem zeigte er, dass die jüngst in Mode gekommenen Elektronenrechner die geeigneten Geräte seien, den Wissenschaftlern über die Probleme von Regelungstechnik und Informationsübermittlung neue Aufschlüsse zu geben. Von seinem vorwiegend technischen Standpunkt aus brachte Wiener System in dieses Teilgebiet der heutigen Kybernetik und sicherte sich so den Anspruch auf Unsterblichkeit. Er hat dieser Denkweise endgültig den Namen "Kybernetik" gegeben.
Die schweifenden Träume der "Akademie"-Romantiker verführten eine Zeitlang auch viele andere, sonst ganz besonnene Wissenschaftler, in die neuentdeckte Kybernetik eine "Einheit aller Wissenschaften" hineinzuphantasieren, eine "Universal Wissenschaft". Es mutet beinahe mystisch an, was manche Forscher da hehren Tones in Aussicht stellten. Hermann Hesses "Glasperlenspiel", in dem von einer nicht näher definierten gemeinsamen Darstellungsart sämtlicher Künste und Wissenschaften in- und außerhalb des Universums nebst zahlreichen Variationen, Durchdringungen und Analogien geschwärmt wird, ward zu jener Zeit viel zitiert.
Sosehr die beiden Autoren dieses Buches Hermann Hesse als Dichter schätzen: Was dem Poeten zu jeder Zeit erlaubt ist, kann man dem Wissenschaftler nicht so ohne weiteres durchgehen lassen. Kant hat den schönen, klassischen Satz geprägt: "Es ist nicht Vermehrung, sondern Verunstaltung der Wissenschaften, wenn man ihre Grenzen ineinanderlaufen läßt." Nun, die Frage, wem eine solche Una Sancta der Wissenschaften eigentlich nützen soll, hat sich, inzwischen von selbst beantwortet; Heute will sie gar keiner mehr haben. Nüchternheit und zielbewußtes Forschen sind wieder in die Stuben der Kybernetiker eingekehrt. Man hat sich jetzt vor allem der Strukturuntersuchung zugewandt. Hier liegt noch ein weites Forschungsfeld, auf dem zwischen Unkraut und Gestrüpp hin und wieder auch ein Bäumchen der Erkenntnis sprießt.
Wer weiß - vielleicht müssen auch wir unsere Definition der Kybernetik bald schon wieder ändern.

Kybernetik - Adam und Eva

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