Mögen Sie noch weitere Beispiele aus dem Alltag? Aber gern! Wir können konkret bleiben und trotzdem ganz abstrakt werden. Konkret ist Herr Grünkohl, sehr greifbar sind auch die Säcke mit Kartoffeln, die er soeben verlädt. Stück um Stück wandern sie erst auf die Waage, dann in den Lieferwagen. Der erste Sack wiegt einen Doppelzentner drei Kilo, der zweite 98 Kilo, der dritte einen Doppelzentner sieben Kilo. Was tut Herr Grünkohl? Er zählt die Kilos zusammen.
Natürlich wissen Sie längst, was diese Zahlen in unserer kybernetischen Betrachtung bedeuten. Es sind Herrn Grünkohls abstrakte Modelle für die Kartoffeln, sie simulieren das Gewicht der Kartoffeln. Und es ist möglich, dass Herr Grünkohl das nicht einmal weiß. Die Kybernetik funktioniert auch, ohne dass man sie erkennt.
Oder wie ist das mit den chemischen Formeln?
2HCl + Na2CO3 = 2NaCl + H2CO3
Diese schöne Formel simuliert zum Beispiel den chemischen Prozeß der Gewinnung von Kochsalz; sie ist das Modell dafür.
Sicher haben Sie auch schon von den kleinen Maschinen gehört, die gebaut wurden, um das Verhalten von Tieren zu simulieren. Norbert Wiener, in dem man heute vielfach den geistigen Großvater der Kybernetik sieht (wenn er auch mehr ein Patenonkel mit Erziehungsberechtigung war), konstruierte zum Beispiel ein kleines elektronisches Fahrzeug, das sich auf ein Licht zubewegt oder - nach Umlegen des Schalters - davon wegstrebt. Es ahmt also in sehr engem Bereich das Verhalten einer Motte oder - umgeschaltet - einer Wanze nach.
Diese Wanzenmotte hat einer ganzen Menagerie elektronischer Tiere auf die Welt geholfen - Tierchen, die herumkriechen, einander umtanzen, Stuhlbeinen aus dem Wege gehen, sich in Irrgärten zurechtfinden, bei Erschöpfung ihrer Batterien selbständig zur Steckdose eilen und anderes Ergötzliche tun. Einige dieser Tierchen sind kybernetische Modelle im strengen Sinn, die der wissenschaftlichen Erforschung des Tierverhaltens dienen. Andere gehören eher in einen Spielwarenladen. Alle aber sind sehr niedlich und ein Spaß für die Zuschauer.
Und Sie, lieber Leser - wissen Sie nun, was die Kybernetiker unter einem Modell verstehen? Ja?
Sehr gut. Dann nämlich haben Sie sich - kybernetisch gesprochen - in Ihrem Kopf ein Modell vom Begriff "Modell" gemacht.