Von wissenschaftlichen und alltäglichen Simulationen
Nach dieser Abschweifung ins Gebiet des Übersinnlichen und Sinnlichen wollen wir Sie geradewegs auf einen neuen, wichtigen Begriff der Kybernetik zuführen.
Hat man ihnen jemals vorgeworfen, Sie simulierten?
Den beiden Autoren dieses Buches geschah dies mehrfach schon in früher, empfindsamer Jugend. Dem einen, der sich häufig mit Kopfschmerzen aus dem Lateinunterricht zu entfernen trachtete, wurde vorgeworfen: "Der Kerl simuliert doch schon wieder!" Und der andere, der sich wochenlang durch ein verstauchtes Handgelenk von jeglicher Schreibarbeit befreit hatte, erfuhr eines Tages ebenfalls zu seinem Unbehagen vom Schularzt: "Sie sind ja ein ganz übler Simulant!"
Das Wort "simulieren" hat also in der Allerweltssprache einen durchaus negativen Beigeschmack. Und hier zeigt sich's wieder einmal, wie anders die Kybernetik doch ist: Bei ihr sagt man übers Simulieren nur Lobendes.
Es ist so: In der Sprache der Kybernetiker ist das "Simulieren" die vornehmste Aufgabe für jegliches Modell. Das Modellflugzeug "simuliert" das Verhalten eines richtigen Flugzeugs. Herrn Holzbocks Plan "simuliert" die tatsächlichen Gegebenheiten des Arbeitsablaufs.
Dieses "Simulieren", dieses "So-tun-als-ob" befreit die kybernetischen Modelle von einer großen Verantwortung. Jetzt verlangt niemand mehr, dass sie sich in möglichst allen Details genauso verhalten wie ihre realen Vorbilder. Das leidenschaftliche Bemühen um akkurate Modelltreue, das jedem aufrechten Modelleisenbahner schlaflose Nächte und leere Portemonnaies bereitet, ist der Kybernetik unbekannt.
Der Kybernetiker sagt sich nämlich: Ein ideales Modell müßte dem realen Vorbild eigentlich aufs Haar gleichen, oben und unten, innen und außen. Konsequent weitergedacht, wäre das ideale Modell also ein genaues Duplikat seines Vorbilds. Das aber wäre der bare Unfug. Deshalb beschränkt man sich in der Kybernetik von vornherein auf einen kleinen Ausschnitt der Möglichkeiten modellgerechten Verhaltens. Hochgestochen ausgedrückt: Man simuliert nur Teilaspekte.
Der vernünftige Mensch macht das im täglichen Leben ja auch nicht anders. Herr Federle beispielsweise hätte, wäre es ihm um Vollständigkeit zu tun gewesen, seinem Vereins-Modell auch noch die Zeichnung von Herrn Holzbock angliedern müssen - denn zweifellos nimmt der Arbeitsablauf in der Schreinerei auch Einfluß auf die Stimmung im Verein. Denn wenn Herr Holzbock Ärger im Betrieb hat, denkt er natürlich nicht daran, sich auch noch um die Probleme von Herrn Schreier zu kümmern.
Auch ein Modell des Betriebs von Brüllmann & Schreier wäre am Platze gewesen, denn dort ist die Frau des Ersten Vorsitzenden Kundin, und ihre gelegentlichen Großeinkäufe haben dann doch auch Einfluß auf das Seelenbarometer von Herrn Schreier. Ferner wäre für jeden der Beteiligten ein Blutdruckmodell - System Emil - nicht schlecht, denn zumindest Herr Brüllmann und Herr Holzbock sind in ihren Reaktionen sehr vom jeweiligen Stand ihres Blutdrucks abhängig.
Und so könnte man noch Tausende von weiteren Modellen anbauen, ohne die ganze Wirklichkeit tatsächlich darstellen zu können. Folglich versucht man es erst gar nicht - weder Herr Federle noch sonst irgend jemand in der Kybernetik - und begnügt sich mit dem Simulieren von Teiltatbeständen.
Auch das bringt uns weiter. Ein paar praktische Beispiele gefällig?